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IFA+Summit und PTKO -Future is coming oder Zukunft wartet?

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 26.09.2018, 21:20 Uhr
Kommentar: +++ Internet und Technik +++ Bericht 10508x gelesen
Die digitale Schöpfung (frei nach Michelangelo), Vortrag Moon Ribas
Die digitale Schöpfung (frei nach Michelangelo), Vortrag Moon Ribas  Bild: G. Bachleitner

München [ENA] Den Zeithorizont der kommenden sechs Jahre wollte der zweitägige Zukunftskongreß im Rahmen der IFA ausleuchten und Auswirkungen digitaler Technik auf das menschliche Selbstverständnis und Zusammenleben untersuchen. Der zweitägige IFAplus-Summit hatte diesmal einen Star aufzubieten, Garry Kasparov.

Der einstige Schachweltmeister Garry Kasparov verlor kurz vor Ende des letzten Jahrtausends gegen Deep Blue. In Berlin trat er natürlich nicht als Verlierer auf - und besiegte seine menschlichen, oft sehr jungen Gegner beim abendlichen Simultanschachturnier nach wie vor mühelos -, sondern verstand sich als Vorkämpfer für eine humane Gestaltung Künstlicher Intelligenz. Der Sicherheitsdienstleister Avast beschäftigt ihn als Botschafter, denn Schach ist ja ein Kampfspiel und hat Kasparov früh mit der Dialektik von Schwert und Schild bekannt gemacht, die auch im Feld der Cybersicherheit herrscht.

Er weiß, daß gegen überlegene Fähigkeiten von KI kein Kraut gewachsen ist, aber alles von entsprechenden menschlichen, und d.h. auch politischen Regulativen abhängt. Daß kürzlich ein internationales Verbot von KI-gestützten Waffen gescheitert ist, sieht er nicht als Argument gegen KI, sondern als Ergebnis unzureichender politischer Verständigung. * *

Überraschend weit in menschliche Kernbereiche stieß Elisabeth André, Professor für Computer Science an der Universität Augsburg vor. Ihre Studien zur Affekterkennung und -simulation sind Bausteine zum Bau von Avataren, also einer gewissermaßen personalen Ausformung von KI. Dabei wird mit sprachlicher und visueller Emotionserkennung gearbeitet, und dies kann beispielsweise einen virtuellen Personalchef beim Bewerbungsgespräch ermöglichen. Es kann auch ein Pflegesystem fürs Altersheim zur Folge haben, wo ein kleiner Roboter durch sinnvoll gesetzte Empathiefaktoren Gefühle bei den Heiminsassen zu erwecken vermag.

Diese Forschung ist nicht ganz neu. Vor zwei Jahrzehnten hatte sich bereits Dietrich Dörner in Bamberg um die logisch-technische Rekonstruktion und Simulation höherer mentaler Funktionen bemüht, psychische Vorgänge auf Maschinen nachbilden: „Bauplan für eine Seele“ - und wirkte damals in der deutschen Forschungslandschaft mindestens so exotisch wie André heute. Daß hierzulande das Interesse an einer aktiven, gestaltenden Beschäftigung mit KI so gering ist, beklagte auch Stephan Humer, der über das Digitale Selbst 2.0 sprach.

In Deutschland sei, nachdem man die erste Phase der Digitalisierung ungenutzt habe verstreichen lassen, weiterhin keine Entwicklung einer digitalen Kultur erkennbar. Seiner Resignation beizupflichten, gibt es leider genügend Gründe. Wie offen ein amerikanischer Bioethiker die Herausforderungen der KI als Forschungsgegenstand annimmt, zeigte Wendell Wallach aus New Haven. Angesichts der drängenden Wünsche der Rüstungsindustrie in seinem Lande beschäftigt er sich mit Kampfdrohnen und KI in Waffen. Die Frage technologisch bedingter Arbeitslosigkeit interessiert ihn ebenso wie neue Formen der "Gouvernance" durch die Möglichkeiten von "soft law" und natürlich die ethischen Fragen, die das autonome Fahren aufwirft.

Auch bei anderen angelsächsischen Forschern findet man Aufmerksamkeit für die Ambivalenz der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. James Curran, Goldsmiths University London, markierte die beiden Pole deutlich: einerseits demokratische Ermächtigung, andererseits Einladung zu autokratischer Überwachung und Zensur. Jillian York von der Electronic Frontier Foundation erinnerte in diesem Zusammenhang an die opportunistische Rolle Googles gegenüber den chinesischen Machthabern seit 2006 und an die u.a. von Facebook ausgeübte Zensur bei manchen Kunstwerken.

Die hier aufscheinende Macht quasi monopolistischer Netzwerke veranlaßte Curran auch dazu, ernsthaft über eine öffentliche Kontrolle nachzudenken. Das Internet solle eigentlich Allmende und nicht Spielwiese für die geheimen Algorithmen kommerzieller Monopolisten sein. Wer einst an die Einführung des Internets naiv die Hoffnung auf eine bessere und gerechtere Gesellschaft geknüpft hatte - vgl. Barlows Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace 1996 -, kann sich heute tatsächlich fragen, ob die Revolution ihre Kinder frißt - so der Titel dieser Diskussion auf dem Summit.

Die digitale Agenda hat sich seither aufgefächert und wird an den entsprechenden Stellen in der Regel konstruktiv bearbeitet. So zeigten in Berlin die Referate von Alexander Mankowsky, Daimler, Christof Helmis vom Kartendienst Here und Uma Subramanian, Voom Flights (wo Drohnentaxis konzipiert werden), wie sich der Verkehr weiterentwickeln könnte. Jens Lambrecht, Gestalt-Robotics Berlin, versuchte die Furcht zu zerstreuen, Roboter würden zur Beseitigung menschlicher Arbeitsplätze eingesetzt, und Tim Landgraf, FU Berlin, wußte bereits, wie Roboter die Grundzüge sozialer Interaktion lernen könnten.

Kevin Warwick, der einst als erster Cyborg klassifiziert worden war und nun als Emeritus der englischen Universität Reading seine Überzeugung von der Selbstermächtigung des Menschen durch Technik weiterträgt, konnte den Zuhörern die Furcht vor digitaler Prothetik und Enhancement nehmen, erschien dieser Cyborg doch als durchweg sympathischer älterer Herr. Selbstverständlich konvergierten all diese Ansätze und Perspektiven nicht zu einer einhelligen Meinung, aber das war auch nicht zu erwarten und nicht nötig.

PTKO, öffentl.-rechtl. Sender und technischer Fortschritt

Ebenfalls im Zeithorizont der kommenden sechs Jahre scheinen die öffentlich-rechtlichen Sender zu agieren, aber nicht vorwegnehmend, sondern nachholend oder hinterher hinkend. "Draußen tobt der Fortschritt - und hier bei euch ist Funkstille" hätte wohl manch einer den Abgesandten von ARD und ZDF beim Presseforum der Produktions- und Technik-Kommission von ARD und ZDF vielleicht zugerufen und eine defensive Haltung gegenüber einschlägigen technischen Neuerungen der Gerätehersteller beklagt, aber das wäre voreilig und ungerecht gewesen.

Die Innovationszyklen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sind wesentlich länger, als daß sie dem Innovationsdrang der Industrie unmittelbar zu folgen vermöchten. Manches braucht zur Konsolidierung aber auch in der Industrie wesentlich länger, als sie es zugeben möchte. Dies war und ist gerade wieder beim Thema HDR zu besichtigen, wo ja nach wie vor mehrere Normvorschläge im Raum stehen. Für das in technischen Belangen seit A. Ziemers Zeiten innovationsfreudige ZDF berichtete dessen Produktionsdirektor Dr. Andreas Bereczky über einige UHD-Produktionen, die naturgemäß auch jeweils mit einer HDR-Variante auszustatten waren.

Die erste Produktion vom November 2016 arbeitete mit HDR 10. Ein Jahr später wurde für die Serie „Die Bergretter“ in HLG aufgezeichnet. Weitere Serien wie „Der Bergdoktor“ und „Kudamm 59“ wurden ebenfalls mit HLG produziert, und in diesem Verfahren erkannte Bereczky auch den wichtigsten Mehrwert. Daraus lasse sich nämlich stets auch ein aktuell sendbares Full-HD-Format ableiten, was die Distribution sehr vereinfacht. Bisher können UHD-Produktionen ja nur über das Internet ausgespielt werden. Allenfalls könne man einiges auf den Testkanälen auf Eutelsat Hotbird und Astra 1L sehen.

Streaming könne auf Dauer teuer werden, doch an ein UHD-Vollprogramm sei auf absehbare Zeit nicht zu denken. Voraussetzung hierfür sei u.a. die Abschaltung der SD-Ausstrahlung – ein Besitzstand, der hierzulande zweifellos mit Zähnen und Klauen verteidigt werden wird, im Falle der Privatsender auch aus guten Gründen. Die Produktionsmehrkosten für UHD wären jedenfalls kein wirkliches Hindernis, wie Bereczky.vorrechnete. Sie lägen – Ausstattung vorausgesetzt – unter 10 %. Daß sich die Datenmenge vervierfacht und der Renderaufwand entsprechend steigt, liegt in der Natur der Sache.

Eine andere Baustelle beschrieben Detlef Sold von der schweizerischen SRF und O. Hofrichter/T. Tiesler, RB und SWR: die automatische Metadatengewinnung in Video und Audio, gelegentlich auch Audio-Mining genannt. Diese ist für eine effektive Nutzung der riesigen Archive unerläßlich und benötigt leistungsfähige Algorithmen für Objekt-, Bild- und Spracherkennung, also KI in Vollendung.

Daß sich ein solcher Algorithmus an Schwyzerdütsch bisher die Zähne ausbeißt, wie Sold erwähnte, verwundert nicht. Doch auch bei akustisch optimalen Hochdeutschäußerungen im Studio liegt die Erkennungsrate bisher nur bei 90 %, wie Hofrichter und Tiesler ausführten. Wer je selbst mit einer Spracherkennung gearbeitet hat, wird die zurückhaltend-skeptische Einstellung der Referenten unschwer nachvollziehen können. Um so wichtiger wäre eine intensive Forschung zur KI im Inland, weil hier – hoffentlich – die deutsche Grammatik noch am Besten verstanden wird.

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